Subjekt Welt - Versuche zur menschlichen Ökologie
Oder: vom Klimawandel zur Psychoanalyse und wieder zurück.
1. Generation Plastik: Was nun?
Drei Fragen haben mich im Wesentlichen, dazu motiviert, dieses Büchlein, schon vor Jahren, zu beginnen:
Die erste ist simpel: Warum haben ausgerechnet wir, gemeint ist die Generation der Babyboomer, so lange geschwiegen? Haben wir uns nicht in unserer Jugend schon glühend von Zwentendorf bis Hainburg für die Belange der Umwelt eingesetzt? Doch dann?
In unserer Mittelschulzeit, in der wir noch reichlich mit naiver Naturschutzdenke, verpaart aber mit unerschütterlichem Glauben in technologischen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum konfrontiert wurden, erweckte dieser scheinbar unlösliche Diskurs in meinem jugendlichen Gehirn den Wunsch nach einem, übrigens damals eben erst entstandenen, Ökologiestudium. Nun, nach väterlicher Zensur, wählte ich stattdessen den Beruf des Arztes und des Psychoanalytikers, was mich, freilich mit einer Latenz von fast einem Menschenleben, zu meiner zweiten Frage führte:
Kann man die Entstehung der Umweltkrise aus psychodynamischer Sicht erklären und kann diese Sichtweise einen Beitrag zur Lösung leisten?
Aus dieser Frage erst, hat sich eine dritte, letztlich wohl die komplexeste Frage ergeben: Kann es sein, dass diese Umweltkrise, real und brisant, wie sie sich uns darstellt, auch und in konkreter Metaphorik, für eine tiefgreifende Seins Krise vieler Individuen, vielleicht sogar der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit steht?
Das, was heute nach meiner Meinung polemischer Weise als „Ökologische Katastrophe“ bezeichnet wird, begann sich damals in den Sechzigern gerade wirksam zu entfalten. Nylonsäcke und allerlei Plastikkram wurden als etwas Tolles, Kostbares empfunden, in Massen gesammelt, als könnte man nicht genug davon haben. Automobile hatten einen Schadstoff-Ausstoß, welchen wir uns heute höchstens noch vorstellen können, wenn wir Länder der Dritten Welt bereisen. Die ersten nuklearen Kraftwerke krepierten bereits rund um den Globus, nur dass eigentlich niemand wirklich Notiz davon nahm, weil die oberirdischen Atomversuche der Großmächte nukleare Unfälle, gleichnishaft wörtlich, überstrahlten.
Es war ein Drama, das sich in Wahrheit vor unser aller Augen abspielte, aber es war noch derart unterschwellig und auch damals schon so facettenreich, es hätte einer Wachheit und Bedachtheit bedurft, welche selbst heute noch nicht zu konstatieren ist.
Unsere Eltern- und Großelterngenerationen waren selbstredend traumatisiert von zwei Weltkriegen und der dazwischenliegenden Wirtschaftskrise der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Zeitliche Bestimmungsformeln wie: „Vor dem Krieg, im Krieg, in der Nachkriegszeit“ waren in meiner Kindheit täglicher Sprachgebrauch und bezeichneten weniger Zeiträume als vielmehr Gestimmtheiten, atmosphärische Voraussetzungen für „Dies und Jenes“. Meist ging es wohl darum, Unzulänglichkeit, Zwang und Gedankenlosigkeit zu rechtfertigen. Die Fünfziger und Sechziger des vorigen Jahrhunderts sind aus meiner Sicht noch als „Nachkriegszeit“ zu bewerten, da Denkweisen, welche aus den Traumata, Entbehrungen und politischen Verunsicherungen der zwei Weltkriege zu erklären sind, damals noch in den Köpfen praktisch aller Erwachsenen gegenwärtig waren, schlimmer noch, in hoher Dosis an die Kinder abgegeben wurden. Eines hätte ich an dieser Stelle nur allzu gerne vergessen, es gab damals wie heute praktisch durchgängig kleinere Stellvertreterkriege, schön über die gesamte Welt verteilt, jeweils einer schwelend, ein anderer gerade lodernd, vielleicht ein dritter in politischer Vorbereitung. Aus heutiger Sicht waren diese Stellvertreterkriege gewollt, um zum einen den „ganz Großen“, der aus damaliger Sicht fast unvermeidbar schien, tunlichst hinauszuschieben. Man sprach gerne vom „Dritten Weltkrieg“. Andererseits ging es auch darum, die überhitzte Rüstungsindustrie zu beschäftigen und dieser auch ausreichende Versuchsfelder zur Verfügung zu stellen. Es fällt mir schwer, den weltumspannenden Schatten zu verleugnen, welcher damals „Alles und Jeden“ belastete, ob alt oder jung. Gemeint ist der sogenannte „Kalte Krieg“, welcher in den Sechzigern auf seinem Höhe-, oder wenn Sie wollen Tiefstpunkt angelangt war. Angesichts einer allgegenwärtigen Möglichkeit, besser eigentlich Wahrscheinlichkeit, der globalen nuklearen Zerstörung, entstand einerseits, vor allem im Bildungsbürgertum, eine fast hysterische Überaufmerksamkeit weltpolitischen Ereignissen gegenüber, anderseits herrschte, wie heute auch wahrscheinlich, größtenteils Ignoranz diesen Dingen gegenüber. Ich selbst kann mich noch erinnern, mit welcher angespannten Aufmerksamkeit meine Familie die Radioberichterstattung während der Cuba-Krise verfolgte. Viel später noch, wir hatten damals schon einen Fernseher, sah ich meinen Vater weinen angesichts der Bilder vom Ende des Prager-Frühlings.
Es herrschte eine merkwürdig histrionisch anmutende Befindlichkeit, die Atmosphäre war einmal ganz bedrückend, wenn zum Beispiel meine Tanten in Massen Zucker und Mehl kauften, falls die Russen kämen, dann schien wieder alles vergessen und es wurden rauschende Feste gefeiert. Die endzeitige Lebenslust der Dreißigerjahre steigerte sich in den Fünfzigern in einen eigenartigen hedonistischen Taumel, welcher wiederum auf letztlich puritanische Wiederaufbau- und Produktivitätsphilosophien traf. In diesem seltsamen gesellschaftlichen Mischklima gedieh vieles, aber sicher kein auf Mittel- und Langfristigkeit ausgerichtetes ökologisches Denken. Die Einen produzierten, als gäbe es kein Morgen und die Anderen konsumierten, als wäre es besser heute noch einmal richtig gelebt zu haben, denn morgen wäre ja ohnehin alles aus.
Diesen Taumel von Produktivität, sinnlosem Konsum und endzeitiger, im Eigentlichen Resignation, mit dem Aspekt der Ost-West-Spaltung überein zu bekommen, scheint einerseits logisch, anderseits aber gänzlich unpassend. Logisch wohl deshalb, weil wirtschaftlicher Wohlstand genau das war, was jene Anderen offenbar nicht zustande brachten, unpassend wohl deshalb, weil eine ideologische Spaltung dieser Ausprägung, mit bloßer wirtschaftlicher Prosperität einfach nicht überwindbar sein kann. Die Aufteilung der Welt in zwei Einflusssphären schien nämlich derart perfekt, dass es damals von „Denen da drüben“ nur ein Hörensagen gab. Genau genommen war man im Westen wahrscheinlich genauso auf Propaganda, von der man annahm, sie sei Information, angewiesen, wie „Die drüben“, von welchen behauptet wurde, sie seien nicht oder zumindest nicht richtig, informiert.
Nach meiner persönlichen retrospektiven Wahrnehmung war dieser Zustand der maximalen globalen Spaltung in wesentlich zwei Lager auch zugleich der Anbeginn eines globalisierten Denkens.
Eines war Allen, damals wie heute, klar: Es werden nicht nur jene „Anderen“ untergehen, es werden entweder alle überleben oder alle sterben! Die drohende nukleare Apokalypse, war real nachvollziehbar und vor allem ohne große zeitliche Latenz möglich. Der drohende ökologische Kollaps der Erde hat in den Köpfen der meisten Menschen nicht ein derartiges Dringlichkeitspotential. Er erscheint uns surreal, solange wir nicht ganz persönlich von einschlägigen Ereignissen betroffen werden. Mit anderen Worten ist der bereits im Gange befindliche Prozess, vor allem aber nicht nur, des Klimawandels, zu langsam und zu komplex um von uns in seiner Tragweite nicht nur verstanden, sondern auch begriffen zu werden. Dennoch gilt der Satz „Alle oder Keiner“ für den Ökologischen Kollaps, ganz gleich wie für einen nuklearen Krieg, das Phantasma es würde nur „die Anderen“ treffen, ist zwar ein grundsätzlich begreiflicher Schutzmechanismus, entbehrt aber jedweder Logik.
Globalisierung in einem positivistischen Sinne ist notwendig und gut, sofern sie zu globalem Denken möglichst Vieler führt. Schon indem ich diesen Satz hingeschrieben habe, wird mir klar, welche Verwirrung er stiften könnte, wenn ich nicht wenigstens versuche zu erklären, wie er gemeint ist. Am Beispiel bemannten Raumfahrt lässt sich zeigen, wie sehr dieses Datum einen Beitrag zur Veranschaulichung globaler Denkweisen geleistet hat. Auch hier ging es gar nicht so sehr um eine intellektuelle, sondern vielmehr um eine emotionale Erfahrung. Freilich, am Anfang stand da wohl das Faszinosum der Machbarkeit, welches affekthaft die Szene überstrahlte, gefolgt aber bald von der Erfahrung der Begrenztheit von Raum und Ressource. Dann aber kam dieser magische Blick, welchen wir Ende der Sechziger mit dem Mondflug gewonnen haben und welchen wir, wie es scheint, jetzt erst zu verstehen beginnen, es ist der Blick von weit Außen auf dieses fragile Ganze. Wir beginnen heute erst bewusst zu erkennen, dass jedwede politische, wirtschaftliche, soziale und selbstredend auch jede in der Natur der Erde verwurzelte Dynamik sich immer und rasch, gleich auf welchem Ort der Erde sie sich abspielen mag, auf das Ganze, also zunächst global und wohl auch kosmisch auswirken wird. Das macht uns Angst und vermittelt uns das Gefühl von katastrophaler Ohnmacht.
Worin bestünde die Katastrophe eigentlich?
Wir haben uns leider angewöhnt, unüberschaubare Pluralität in Singulare zu zwängen. Die Gesamtheit der Menschen in ihrer unüberschaubaren Vielfalt nennen wir „Menschheit“, als ob dieses pluralistische Phänomen dann zu etwas Fassbarem werden würde. Mehr noch, wenn wir so tun, schaffen wir mit dem Begriff Menschheit eine Entität, welche sich dem Individuum gegenüber, vielleicht sogar entgegenstellt. Die Tatsache, dass das Individuum integraler Teil dieses Ganzen der singularisierten Pluralität ist, kann in diesem Augenblick noch gedacht, nicht aber begriffen werden. Dasselbe gilt natürlich auch für „die Natur“ oder „die Erde“, hier wird der grundlegende psychodynamische Mechanismus einsichtiger: Es handelt sich wohl um eine Personifikation, Begriffe wie „Mutter Erde“, „Mutter Natur“ machen dies deutlich. Wenn ich den Satz schreibe: „Ich bin integraler Bestandteil der Natur“, vielleicht sogar noch: „Ich bin Natur“, werde ich Einverständnis von meinen Artgenossen zu erwarten haben. Wenn ich hingegen schreiben würde: „Ich bin Erde, ich bin Welt“, würde ich wahrscheinlich mitleidiges Lächeln oder sogar die Aufforderung, doch wieder meine Tabletten zu nehmen, ernten.
Sie sehen schon, die Katastrophe scheint eigentlich in unserem Kopf zu wüten und hat mit unserer noch sehr unvollständig entwickelten Fähigkeit zu integralem Denken zu tun. Dies zu einem Zeitpunkt, da wir ganz real erkennen müssen, dass wir diese Fähigkeit nun nachentwickeln müssen um nicht als gescheitertes Experiment im Mülleimer der Evolution zu verschwinden. Daraus ergibt sich wahrscheinlich der Kernkonflikt: Wenn wir Subjekt und Objekt Welt einander gegenüberstellen, kommen wir genau in die Spaltungsfigur, deren Überwindung jetzt ansteht.
Wenn Subjekt aber lernt integral zu denken ist, das sei zuzugeben, unser beizeiten überzogener Subjektivismus-Kult am Ende, anderseits scheint aber jedwede Spaltungs-Gefahr gebannt. Subjekt ist dann in Subjekt-Welt eingebettet und übernimmt zugleich Verantwortung für sich selbst und das Ganze. Es kann nichts mehr für sich wollen, was nicht auch dem Ganzen nützt. Das „Dividum“, wird dann erst wirklich zu einem In-Dividum, das sich selbst, das Du und das Andere zugleich in einer Weise respektieren und sein kann. Das genau ist die Aufgabe dieses heraufdämmernden Bewusstseinstages, es geht eigentlich nur um die Spalt-Überwindung zwischen dem Gefühlten und dem Gedachten und dessen Zusammenführung in einem Wahr-Genommenen. Die Katastrophe bestünde und besteht letztlich darin, dass es mehr und mehr fraglich wird, ob uns als Menschen und Menschheit dieser unabdingbare Entwicklungsschritt gelingen wird.
Die Frage des Standpunktes:
Die pluralistische Sichtweise, welche uns der reine Verstand anbietet, lässt in uns ein Bild von der Welt entstehen, als dessen Ausgangspunkt wir zwingender Weise das Subjekt erkennen müssen. Emotional aber entfernt uns dieser Pluralismus von uns selbst, weil er einen Eindruck einer außerhalb des Einzelnen befindlichen Objektivität erzeugt, welches einer Spaltung entspricht. Gleichsam entsteht die Vorstellung von einem wahrnehmenden Subjekt, welches sich einer Objektivität im Außen gegenübersieht. Zu verändern oder zu beachten, wenn es um eine Ökologie im herkömmlichen Sinne gehen soll, sei aber jenes objektiv im Außen Befindliche, wovon das Subjekt aber nur zu gerne anzunehmen geneigt ist, es nicht verändern zu können. Wer traut sich schon zu, diese komplexe, vielschichtige äußere Wirklichkeit, die wir in Wahrheit nur rudimentär erkennen können, zu verändern. Wir werden solcherart blind für die lapidare Tatsache, dass es letztlich nur um die Ökologie meines ureigenen Hauses geht und nicht um die Ökologie jener postulierten äußeren, angeblich objektiven Wirklichkeit. Ich muss nur und zugleich so viel, wie meine eigene kleine Welt in Ordnung halten. Der pluralistische Eindruck des Übergroßen darf nicht zum lähmenden Hindernis, nicht zu sagen zur Ausrede werden, auch das nicht zu ordnen, was ich in meiner wechselnden Armeslänge tatsächlich ordnen kann.
Die eigene kleine Welt in Ordnung halten kann, verkürzt dargestellt, Zweierlei bedeuten: Einmal schlicht und ergreifend auf einiges zu verzichten, von dem ich annehmen kann, dass es dieser Welt da draußen und damit mir selbst schadet. Dies wäre im Grunde die einfachere Übung, wenn sich nicht ständig eine breite Schere zwischen dem was ich tun und lassen könnte und jenem was ich tun und lassen kann auftäte. Freud vermochte diesen fatalen Umstand in den lapidaren Satz:“ Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus!“ zu fassen. Dies gilt leider für alle Felder unseres realen Lebens.
Die zweite empfehlenswerte Übung erscheint weit schwerer und komplexer, weil sie zunächst nicht im Handeln geschehen kann, sondern nach einem vielschichtigen intrapsychischen Bemühen verlangt. Dieser Prozess ist mit den Mitteln der Vernunft alleine nicht zu bewerkstelligen, weil er zunächst sehr bewussten Umgang mit Emotionen und Affekten erfordert. Das schließt natürlich auch unsere eigenen, gänzlich unvernünftigen Begehrlichkeiten ein. Auch hier tut sich eine Schere auf: Wenn wir unser Begehren, was immer es sein mag, allzu sehr zensurieren, laufen wir Gefahr in puritanisches Moralisieren zu verfallen, übersehend, dass die Unterdrückung aller Begehrlichkeit genau jene seelische Energie verschwendet, welche wir zur Bewältigung unserer Lebenskonflikte dringend bräuchten. Freud hat seinerzeit diesen angesprochenen seelischen Energiehaushalt mit dem Begriff der „seelischen Ökonomie“ belegt. Wie wir oben schon erwähnt haben, könnten wir aus heutiger Sicht auch von seelischer Ökologie sprechen. Die eine Tranche der Schere bezeichnet also die Position der grundsätzlichen Unterdrückung von Begehren, eine Position aus der heraus wir kein seelisch gesundes Leben führen können, weil sie per se neurotisch ist. Die andere Position, jene des Hedonismus also, höhlt uns aber in gleicher Weise aus und macht zunächst vielleicht nicht uns selbst, aber mit Sicherheit unsere Gesellschaft krank. Die einzig lebbare Position des ständigen Kompromisses zu finden und auch zu halten erfordert von uns eine Haltung ständiger Achtsamkeit, sie ist niemals stabil und gleicht einem Balanceakt.
In dieser mühsamen Suche nach innerer und äußerer Stabilität neigen wir dazu, uns die Modelle von Welterklärern dankbar anzueignen und sie gleichwohl unreflektiert weiterzugeben, als wären sie unser Eigen. Was dadurch entsteht sind Esoteriken, vorformulierte Erklärungsweisen und noch schlimmer, vorformulierte Lebensmodelle. Was uns in Wahrheit helfen kann ist unerschütterlicher Wille zum dialektischen Diskurs mit uns selbst, der Welt und vor allem mit dem menschlichen Gegenüber. Wenn ich mein Gegenüber aber so wähle, dass ich stets von einer gewissen Gleichschaltung in Haltung und Gedanken ausgehen kann, so gerät der zu fordernde Dialog zu einem Monolog. Die angesprochenen „Blasen“ haben oft eine erschütternde Tendenz, unbewusst Denkverbote und Sprachregelungen zu generieren. Die sich aus solchen Anschauungsmustern ergebenden Verhaltensideologien hantieren mit Glaubenssätzen und letztlich moralischen Kategorien. Wir müssen nicht erst auf fundamentalistischen Glaubenswahnsinn hinweisen um dieses zu bebildern, unser Alltag und sogar die Ökologie-Bewegung selbst, bieten genügend illustres Beispiel: Gender-BlockwartInnen, Video-überwachte Müllinseln, moralisierende Anti-Raucher-Kampagnen, erpresserischer Integrationsdruck auf MigrantInnen und selbst auf deren Kinder. Die Reihe der Gutmenschen-Faschismen, mit welchen sogar Michel Foucault seine Freude gehabt hätte, ließe sich zwanglos fortsetzen. Dumm nur: Letztere sind höchst klimaschädlich in einem übertragenen Sinne.
Über die Kleinheit des Aktions- und Wahrnehmungsradius des Einzelnen:
Weiter oben haben wir die „Armeslänge“ als den Radius möglicher Wirksamkeit des Einzelnen identifiziert. Alleine die gewählte Metapher schon, impliziert die Annahme, es sei hier alleinig die Rede von der Reichweite persönlichen Tuns. Rational betrachtet müssen wir uns eingestehen, dass unser subjektives Tun und Lassen, in einem Globalen Sinne sehr wenig bewirken wird. Die Hoffnungsgestalt, welche unser Bemühen rechtfertigt, ist einzig jene, möglichst viele mögen zu persönlicher Veränderung bereit sein und damit letztlich global wirksam werden.
Anders tun setzt aber Erkennen voraus und so besehen sind wir auch in unserem Erkennen auf „Armeslänge“ angewiesen.
Die subjektive Wahrnehmung systemischer Erscheinungen, ist nach meinem Dafürhalten stets durch zweierlei erschwert: Zum einen bin ich in meiner persönlichen Wahrnehmung eingeschränkt auf jenes, das ich unmittelbar in meinem wechselnd umfänglichen Umfeld wahrnehme. Zum anderen bin ich mittelbar natürlich auch auf die Erkenntnisse anderer angewiesen. Selbst in der Annahme dessen, was ich von Anderen über deren Wahrnehmung erfahre, bin ich letztlich in der Interpretation und Würdigung, dessen was ich erfahren habe, auf meine eigene Einschätzung, was Wahrheitsgehalt, Gewichtung und mögliche Konsequenz anlangt, zurückgeworfen. Andernfalls lasse ich mich, wie wir schon gesehen haben, auf die Denk- und Handlungs-Algorithmen einer „Blase“ ein.
Ökologisches Hinschauen ist immer systemisch und zwingend pluralistisch, was uns grundsätzlich nicht aus der Klammer der Subjektivität befreit. Den Standpunkt, welchen ich aus meinem Hinschauen gewinne, muss ich stets mit dem möglichen Gegenteiligen oder zumindest Anderen abgleichen, mithin muss ich meine eigene These stets auch durch einen Wechsel des Blickwinkels bereit und fähig sein zu falsifizieren, damit er als stimmig erkannt werden kann, was in der gesagten Form absurd scheint, aber dennoch den Kerngehalt der zu fordernden Dialektik darstellt Die Einnahme der anderen, an sich mir fremden Position, erfordert einen reflexiven Denk-Akt, welcher per se meinen Blickwinkel nicht nur erweitert, sondern auch eindeutiger macht: Wenn ich diesen oder jenen Standpunkt einnehme, argumentiere ich wie ein Mensch, der von diesen oder jenen Grundvoraussetzungen, eben anderen als den meinen, ausgeht.
Ich will ein fast humoriges Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit erzählen. Ich saß zur Sommerszeit mit einem mir bekannten Hotelier auf der Terrasse einer Berghütte beim Kaffee. Uns gegenüber war im vergangenen Sommer eine Schipiste planiert worden, noch im Herbst hatte man das Ganze mit einer Mischung aus Bitumen, Stroh und Gräser Samen bedeckt und die Mischung begann eben, es war Frühsommer, in abartigem Grün auszuschlagen. Der Hotelier bemerkte mit sichtlicher Freude, dass so eine Schipiste doch eigentlich das Beste für die Natur sei, das man sich denken könne, ich solle doch sehen wie grün die Schipiste, und wie braun und unansehnlich die Bergmatten daneben immer noch seien. Ich war sprachlos, es schien, als seien die Kühe auf jenem Gegenhang meine einzigen Verbündeten: Auf der sattgrünen Piste stand keine einzige, das unansehnliche Braun daneben schien ihnen das bessere Futter zu sein. Wir könnten uns an dieser Stelle natürlich nun darüber verbreitern, wie es denn möglich sei, dass die praktisch humuslose Schipiste bereits so grün und der intakte Alm Boden daneben noch so unansehnlich gewesen sei, es hing natürlich mit der künstlichen Beschneiung während des kalten aber trockenen Winters zusammen. Diese Argumentationslinie weiter zu verfolgen schaudert mich aber aus leicht erfindlichen Gründen. Ich war mit einem möglichen Ergebnis einer Argumentation konfrontiert, welches mir, zugegeben, ideologisch widerstrebte. Alleine die Tatsache, dass ich mit dem Hotelier auf der Terrasse eines tadellosen Restaurants mitten im sommerlichen Garnichts sitzen, es auch genießen konnte, zeigt wie ungeheuerlich schwierig es sein würde, einen glaubwürdig humanistischen Zugang zu ökologischen Denkweisen zu finden. Es war, als wollte Jener mir indirekt seinen Zugang zu jeweils seiner Ökologie eröffnen, es war als wollte er sagen: „Schau, wir haben aus Alm Böden Schipisten gemacht und treiben im Winter unsere „Kühe!“ auf, grad wohl wie unsere Vorfahren aus Wäldern Alm Böden gemacht haben[1], weil sie diese für ihre Kühe gebraucht haben, die wir in dieser Form nur noch der Tradition und der Förderung halber halten. Was, in drei Teufels Namen, soll daran schlecht, unmoralisch, verderblich oder sonst was sein.“ Mein vorbestehend, im Grunde esoterischer Standpunkt wankte, was mir bis dahin gesichert schien, wurde zu verteidigendes Terrain.
Mut zu Subjektivität:
Subjektive Haltung, gedanklicher Pluralismus im Sinne eines identifikatorischen Aktes, also die Überlegung, was ein anderer Mensch mit gänzlich anderen Werthaltungen über eine Sache denken würde, entbinden mich nicht von der unangenehmen Pflicht, den Dialog zu suchen, auch wenn das Gegenüber absehbar nicht meine Ziele und Werthaltungen teilen wird. Konkret würde das bedeuten, welche Alternativen ich dem Hotelier in Aussicht stellen kann, wenn er es unterließe in nutzlosen Berghütten ökologisch bedenklichen Kaffee an ökologisch wie ökonomisch bedenkliche Massen[2] auszuschenken. Was kann ich der Tourismusindustrie in Aussicht stellen, wenn sie es unterließe, intakte Alm Böden in Schiabfahrten zu verarbeiten? Was vor allem aber kann ich den Millionen Konsumenten bieten, deren Begehrlichkeiten offenbar auf genau das abzielen, was wir eben in Frage stellen. Die Rechnung scheint erschütternd einfach: Ein Produkt das keiner will, wird auch keiner erzeugen. Leider funktionieren die Märkte aber allem Anschein nicht so: Auch bloßes Angebot schafft Begehrlichkeit, das müssen wir eingestehen.
Mein persönliches Verhalten ist im Vergleich zum jeweiligen Gesamtphänomen verschwindend unbedeutend, dennoch ist völlig klar, dass zum Beispiel das Konsumverhalten vieler Einzelner letztlich in ökologischer Hinsicht ganz entscheidend ist. Mit Obigem müssen wir diesen Satz aber ausweiten und auch gleichsam die Produzenten, oder wie in unserem beispielhaften Falle, die Dienstleister, in die Pflicht nehmen.
Angewandt auf unser angeblich lustiges Beispiel, könnte dies verschiedenes bedeuten: Ich dürfte mit dem Hotelier nicht auf der Terrasse einer ökologisch bedenklichen Berghütte sitzen, dürfte schon gar nicht einen ökologisch bedenklichen Kaffee [3] trinken, müsste den Hotelier mit Argumenten, welche er vermutlich schon kennt, aufs äußerste moralisch unter Druck setzen. Wir sehen, es gibt also Erkenntnisse, welche absehbar die Handlungskonsequenz in den Konjunktiv verbannen, weil letztere keinen unmittelbaren Sinn erkennen lässt. Es ist lediglich aufgezeigt, was wir tun könnten, nicht aber, welches Tun hier und jetzt sinnvoll und zielführend ist.
Das scheint auch die Schattenseite des hier geforderten subjektstufigen Eintretens: Es schafft ein Gefühl grenzenloser Überforderung, nicht zu sagen der Sinnlosigkeit!
Das scheint auch die Schattenseite der hier geforderten Dialektik: Wenn Subjektivität zwingend die Sichtweisen auch des gänzlich different erlebten Objektes miteinbeziehen muss, so werden wir zwar in unserem Erkennen bereichert, in unserem Handeln jedoch begrenzt. Das meine ich eigentlich mit jener Subjektivität, zu welcher es des Mutes bedarf, weil sie das Subjekt des Gegenübers mit einbezieht.
Wenn ich selbst nicht Willens und im Stande bin, meinen eigenen Standpunkt zu überprüfen, gegebenenfalls auch zu verändern, fürchte ich mit Recht diesen Dialog, da ich solchen Falles lediglich eine Esoterik gegen eine andere ausspiele. Der Dialog findet dann in Wahrheit nicht statt, weil er nichts als ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Monologe ist.
Das Postulat der Globalität als Motiv globaler Verhinderung:
Der hoffnungsvolle Glaube, dass unser subjektives Hinschauen, unser persönliches Handeln in Armeslänge, unser Dialog, unsere Neugierde imstande sei, Veränderung herbeizuführen, gerät also ins Wanken, wenn wir ihn kritisch bedenken.
Es ist wohl notwendig eine noch genauere Betrachtung dieses lähmenden Zweifels selbst anzustellen um der Lähmung, welche er zur Folge hätte, in einer Weise zu entkommen. Dabei scheint mir hilfreich noch einmal ganz klar die Wirklichkeit des Erkennens, von jener des Handelns zu unterscheiden. Wirklichkeit, Werden und damit Veränderung können nicht ausschließlich im Denken Geschehen, sie verlangen letztlich nach Handlung. Erkennen schafft mir Wirklichkeit, stößt Entwicklung an, verändert mich bestenfalls. Im Handeln aber müssen die Grenzen des individuellen Subjektes überschritten werden, die Handlung verlangt nach der Welt und umgekehrt. Die Welt aber erscheint uns als ein übergroßes und weidlich unbewegliches Gegenüber, vor allem, wenn wir in unserem Verzagen, das Paradigma der Armeslänge vernachlässigen. Wenn wir also vergessen, dass wir zwar global denken, aber lokal handeln sollen, müssen wir entweder resignieren, oder uns naiven Weltverbesserungs-phantasien hingeben, welche zwar angetan sind unserer Befindlichkeit zu verbessern, aber im letzten völlig wirkungslos bleiben. In einem psychodynamischen Sinne könnte man davon sprechen, dass die Phantasie von der Verbesserung der Welt, dazu dient das Gefühl der Machtlosigkeit abzuwehren. Sie entspricht also einem verständlichen Selbstschutz-Mechanismus, einer Haltung aber, welche den archaischen Schichten unserer Seele entspringt und zu mythischem Denken führt.
Mythisch deshalb, weil die Welt als eine Entität gedacht ist, welche mich unentrinnbar bewirkt, in welcher personalisierte Übermächte am Werk sind, denen ich mich anzupassen habe, andernfalls sie mich bestrafen oder belohnen. Formulierungen wie: „die Natur rächt sich“, „der Markt fordert“ oder auch, „die Finanzwelt sei in Aufruhr“, sprechen im Grunde eine mythische Sprache. Wirbelstürmen und Wetterfronten pflegen wir Namen zu geben, als Wären sie Kobolde, welche über die Weltmeere ziehen. Im Angesicht des Unüberschaubaren regredieren wir in die Symbolhaftigkeit der Mythen- und Märchenwelt. Im Angesicht der Machtlosigkeit grassieren die Verschwörungs-Theorien, als wollten wir uns damit beweisen etwas unfassbar Komplexes sei letztlich doch nur gemacht und somit auch beherrschbar. Täglich werden uns durch die Medien in simplifizierter Form globale Phänomene von höchster Komplexität vor Augen geführt, meist verbunden mit der impliziten Forderung, „die da oben“ müssten oder „man“ müsste doch endlich „etwas“ machen.
Wir aber sind weder „die da oben“ noch „man“, wir sind Hotelier, Busfahrerin, Hausfrau, Arzt, jedweder auf seinem Platz in einer Situation, da „man“ und „die da oben“ uns täglich unsere Machtlosigkeit vor Augen führen. Wir haben die Tendenz, dieses als Aufforderung, ja Rechtfertigung zum Stillhalten zu verstehen. Der offensichtlich globale Charakter, nicht nur ökologischer Probleme, wird so zum globalen Verhinderungsgrund machbarer Lösungen. Hier scheint mir auch ein möglicher Verbindungspunkt zwischen praktizierter Ökologie und Politik gegeben. Beide leiden unter einer im System gemachten Resignation, welche auf das Subjekt zurückschlägt und wiederum das System bewirkt, ein „circulus vitiosus“ der Gleichgültigkeit. Die zeitweilige Entrüstung gerät zur bloßen Katharsis, einer Art des Ausspeiens von inhaltslosem Affekt, das zwar zu einer gewissen momentanen Entlastung, aber sicherlich zu keiner nachhaltigen Veränderung meiner Haltung und damit meines Verhaltens führt.
Meine Wahlstimme bewirkt nichts, also wähle ich erst gar nicht. Die Politik ist bestimmt durch ein ideologisches Homogenat, also bemühe ich mich selbst auch erst nicht darum, ideologisch Stellung zu beziehen. Mein Konsumverhalten bewirkt nichts, also orientiere ich mich einfach am Preis der Waren, deren angebliche Qualität ich in Wahrheit nicht beurteilen kann. Mein persönliches Mobilitätsverhalten ist irrelevant, deshalb kaufe ich mir den größten Wagen, den ich mir leisten kann, weil er wenigstens bequem und halbwegs sicher scheint. Ich beschließe mich als Opfer einer kartellierten, gleichsam monopolierten Konsumgüterwirtschaft hochzustilisieren, so bin ich Täter und Opfer zugleich.
Begierden versus Verantwortung:
Als Psychoanalytiker sehe ich mich natürlich auch der Versuchung ausgesetzt, die beschriebenen Szenen auf ihre Metaphorik und triebtheoretische Verstehbarkeit zu überprüfen.
Wenn immer von Ressource die Rede ist, kommt zwangsläufig die Begierde ins Spiel. In einem philosophischen Sinne könnte man sagen, dass die Ressource selbst erst durch die Begierde entsteht. Ein Bodenschatz wird letztlich erst zu einem Schatz, indem er begehrt wird. Geld erhält erst seinen Wert dadurch, dass es jemand ausgibt ober einnimmt, ein Konsumgut wird erst durch den Konsum zu einem Gut. Anderseits schafft natürlich, wie wir oben bereits gesehen haben, bloßes Begehren auch noch keinen Wert, da es realiter noch keine Aussage darüber macht, ob das Begehrte überhaupt vorhanden ist und wenn ja, den erwünschten Bedarf stillt. Die Ursache jedweden Begehrens ist eine Art des realen oder ideellen Bedarfes. Das Begehren an der Ressource ist im triebtheoretischen Denken eine orale Entität, es geht um nichts anderes als die „Brust der Mutter“. Je weiter sich unser Begehren von der reinen Oralität, also vom Grundbedürfnis entfernt, je ideeller es wird, umso abstrakter, nicht zu sagen absurder werden unsere Vorstellungen vom Wert einer Ressource, bis zu dem Punkt, da uns das Erstrebte, Notwendige, Gute, Schöne, zum Gift gerät, zur, wie Melanie Klein es vielleicht bezeichnet haben würde, „schlechten Brust einer feindseligen Mutter“, weil es letztlich nicht mehr halten kann, was es idealer Weise zu versprechen schien.
Die Psychoanalytische Theorie bedient sich hier zwar einer mystischen Sprache, will aber, indem sie die Metapher wählt um sich verständlicher zu machen, zu symbolischem Begreifen anregen. Die Verschiedenheit der angeführten Begrifflichkeiten verlangt aber dringend nach Klärung:
Die mythische Bewusstseinsschicht des Menschen, erscheint vielen aufgeklärten Menschen heutzutage ziemlich suspekt, nicht zuletzt auch deshalb, weil in unseren Bildungssystemen, die Auseinandersetzung mit Mythen und Märchen, keinen oder nur geringen Platz findet. Ganz allgemein unterscheiden auch sehr gebildete Menschen der Gegenwart auch nicht zwischen mythischem- und magischem Denken. Vor allem letzteres wird häufig primitiven und ungebildeten Menschen zugeschrieben. Dennoch ist dringend anzunehmen, dass sowohl die magische als auch die mythische Bewusstseins Schicht unverbrüchliche, wenn auch archaische, Bestandteile unserer seelischen Anatomie sind. Sowohl magische als auch mythische Ausformungen begegnen uns fast täglich im klinischen Alltag mit unseren Patientinnen. Wie anders wäre zum Beispiel die Annahme, eine Spritze nütze mehr als eine Tablette, oder jene, man solle sich nur ja nicht an einem 13. operieren lassen, zu erklären. Vor allem die mythische Bewusstseinsschicht ist uns aber sehr hilfreich beim Verständnis zunächst unbewusster Sachverhalte, wenn wir lernen, die dahinter liegende Metaphorik zu verstehen.
Das mythische Narrativ ist in der Sprache der Metaphorik erzählt und verlangt nach einem symbolischen Verständnis. Die konkretistische Deutung ist nicht nur nicht zielführend, sondern meist schädlich, weil sie Spaltung statt Integration schafft. Das konkretistische (Miss-) Verständnis der Mythe pervertiert in aller Regel den metaphorischen Inhalt und die symbolische Bedeutung derselben. Das Gesagte gilt für alle Ausformungen des Unbewussten, also nicht nur für die archaische Erzählung, sondern etwa auch für das wahrhafte Kunstwerk, die Phantasie und vor allem für den Traum.
Was aber kann das für die hier gewählte Thematik des Konsums und dessen Frustration bedeuten? Letztlich kann es ja nicht um bloße Unterdrückung unserer Begehrlichkeit gehen, sondern vielmehr darum, zu einem tieferen Verständnis und damit zu deren besserer Integration unserer triebhaften Seiten zu kommen. Integration bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als Balance zwischen Begehren und Realität. Beides bestimmt unsere Wirklichkeit, sowohl das Streben nach Konsum und damit nach, oft vermeintlicher, Lust. Die schiere Grenzenlosigkeit der Möglichkeit, als auch die offensichtliche Begrenztheit der Ressource und damit des Verantwortbaren, sind beide Teile unserer Wirklichkeit.
Mit Recht werden Sie sich fragen, wozu wir noch des metaphorischen Aspektes bedürfen, wo doch die Problematik durch die triebtheoretische Sichtweise so lapidar darstellbar wird. Tatsächlich scheinen wir hier in einen Fettnapf aus der Entstehungszeit der Psychoanalyse getreten zu sein, hatte doch die nahezu feindselige Auseinandersetzung zwischen Freud und C.G. Jung, ziemlich genau diese Fragestellung zum Inhalt. Die Profilierungsneurosen der Altvordern sind Historie. Im Hier und Heute, haben wir alles zu Rate zu ziehen, was zu Gebote steht, um besser begreifen zu lernen, was mit dem „Subjekt Welt“ durch unser bewusstes und vor allem unbewusstes Zutun geschieht. Wer will sagen, dass uns die von Jung beschriebenen Archetypen in Zeiten moderner Katastrophen nichts zu sagen hätten? Wenn wir uns anschicken die Welt als kollektives, holistisch aufgebautes Subjekt zu betrachten, brauchen wir beides: Die Ausdrucksformen der individuellen Psyche, aber mindestens ebenso auch die gestalthaften Ausformungen des Kollektiven (Un-) Bewussten. Erdmutter und Geistvater in ihrer Vierheit etwa beschreiben die grundsätzliche Bauweise der menschlichen Psyche als kollektive Grundvoraussetzung von schöpferischem Geist und destruktiver Gewalt. Wenn diese Gegensätze unseres Lebens aus der Balance geraten, werden wir krank, wird die Welt krank, wie sie es eben zu sein scheint. Wenn der Konsum pervertiert, das Gute also zum Gift gerät, geraten wir in einen selbstzerstörerischen Taumel.
Der Verdruss am Überfluss gleicht dem Finale einer archaischen Orgie, mehr von Demselben kann nur noch unzufriedener machen. Der Ärger, am Ende einer selbst gemachten Sackgasse angelangt zu sein, gerät in seiner regressiven Verarbeitungsform zu tiefer Depression, in seiner aggressiven jedoch zu narzisstischer Wut, bis hin zur Selbstvernichtung.
Das ist in Wahrheit die ökologische Katastrophe, da wir beginnen, Gas in die Atmosphäre abzufackeln, Öl in die Meere laufen zu lassen, Nahrungsmittel zu vernichten oder auch Schulden zu machen, welche nur mit der sicheren Erwartung einer bodenlosen Entwertung scheinbar zu rechtfertigen sind.
Die narzisstische Wut, welche entstehen muss, wenn Mensch erkennt, dass Erde ihm eben nicht untertan ist, entlädt sich in deren Zerstörung, was einem erweiterten Suizid gleichkommt. Wiederum eine mythische Szene, hier ist es der Mythos des Narzisses.
Die Beschreibung von pathologischem Narzissmus als kollektives Phänomen erscheint uns wie ein Widerspruch in sich, weil dies nicht unseren Denkgewohnheiten entspricht. Narzissmus ist uns primär als ein subjektstufiges Phänomen beschrieben, seit Freuds „Massenpsychologie und Ichanalyse“ ist aber wohl klar, dass so gut wie alle seelischen Dynamiken des Individuums auch für Gruppen und das, was Freud „Masse“ nannte, beschreibbar sind.
Diese Betrachtungsweise alleine würde die Gefahr in sich bergen, keine brauchbare Weiterführung unseres Gedankenganges zu erlauben, da sie gleichsam den bedauerlichen Endzustand, eben das „Ende der Orgie“, beschreibt.
Wenn aber das Subjekt beginnt, sich in seiner Beschränktheit ernst zu nehmen, eröffnet es einen neuen Diskurs über einen anderen, nach meiner Ansicht ent-pathologisierten Narzissmus, jene Selbstbewusstheit nämlich, welche letztlich einzig auch dem Kollektiv dienlich sein wird. Jene Selbstbewusstheit, welche bereit ist, das eigene Denken, Handeln und Unterlassen in der jedweden Auswirkung auf das Ganze zu respektieren. Es wird klar, dass solcher Art eine Verantwortlichkeit des Einzelnen entsteht, welche unser Leben zu einer drückenden Last machen könnte, was erklären hilft, warum Sichtweisen wie diese, welche ja alles andere als neu wären, nicht gerade populär geworden sind.
Die subjektive wie kollektive Verantwortung bestünde darin, Sodom und Gomorrha hinter sich zu lassen, ohne sich umzudrehen. Dazu brauchen wir weder einen Rachegott noch die Engel des Alten Testamentes, es genügt ein wenig gesunder Menschenverstand.
Aufgabe einer Opfer-Täter-Dialektik:
Indem Ich sich auf rechte Weise wichtig nimmt, übernimmt es Verantwortung für sich und seine Welt, hört jedoch zugleich auf, Opfer unwägbarer Mächte im Außen zu sein, welche es angeblich nicht zu beeinflussen im Stande sei. Zugleich aber stellt die Aufgabe dieser Opfer-Täter-Dialektik eine neue, wie ich meine, brauchbarere Dialektik her, jene zwischen mir und dem Kollektiv, mir und der Welt, mir, dem Kollektiv und jenem, was dieses Kollektiv, dessen unverbrüchlicher Teil ich bin, mit der Welt anstellt. Die hier beschriebene Haltung setzt freilich mehr als (nur) pluralistisches Bewusstsein voraus. Wenn das Subjekt redlich mit seinem Bewirken der Welt umgehen lernen will, muss es beginnen, eine neue Bedenkens Weise zu gewinnen, weil eine rein pluralistische Herangehensweise an das Problem von Impuls, Handlung und deren spekulative Wirkung unseren Lebensfluss nur noch weiter fragmentieren würde. Ein verharren im (intellektuellen) Pluralismus würde uns zur Spaltung zwischen jenem, was wir wissen können und dem was wir spüren könnten zwingen. Wir können aber nicht auf Dauer unsere Vernunft von unseren Gefühlen und beides von unserem Handeln abkoppeln, ohne mindestens schwer neurotisch zu werden.
Als Beispiel fällt mir hier die Tendenz zu Ernährungsideologien, wie etwa Veganismus, ein. Gar nicht so wenige Menschen hängen der Idee an, der ausschließliche Verzehr von Pflanzennahrung könnte zur Rettung der Welt und ihrer selbst entscheidendes beitragen. Die meisten VeganerInnen, welche ich persönlich kenne, verbinden mit ihrer Ernährungsweise nicht nur, oder besser nachrangig eine subjektive Vorliebe, sondern vielmehr eine Weltanschauung, welche oft in sehr abstruser Weise gerechtfertigt wird. Ins Feld geführt werden meist Ansichten, es sei ethisch unvertretbar, nur der eigenen Ernährung halber tierischer Leben zu vernichten, Massentierhaltung sei ohnehin verwerflich und überdies miserabel für die Umwelt. Es stimmt, mit jedem Omelett stehle ich einer Henne ihr Ei, mit jedem Spanferkel einer Schweinemutter ihr geliebtes Kind, aber auch mit jeder Semmel einem Weizenhalm Hunderte seiner vielleicht auch geliebten Samen. Sie sehen schon, so kommen wir nicht wirklich weiter. Es ist gut nachvollziehbar, dass ein solcher Neurotizismus subjektiv im Stande ist, intrapersonelle Konflikte abzuwehren, individuell und natürlich in jedem Einzelfall anders. Es gibt also, so müssen wir jetzt erkennen, nicht einmal „den Veganer“. An so einem kuriosen, randständigen Phänomen können wir auch in ganz verkappter Weise einen durchaus positiven Ansatz zur Veränderung der (Um)-Welt durch das Einzelindividuum erblicken. VeganerIn glaubt also, durch Essverhalten Welt zu retten. Das stimmt wie wir wissen, geradewohl wie es nicht stimmt. Es ist einleuchtend, dass man acht Milliarden Menschen nicht mit Grünzeug ernähren kann, gleichzeitig scheint es aber auch nicht zielführend, die Ideologie von Veganer durch jene von Allesfresser zu konterkarieren.
Wir bekommen zunehmend Ahnung, was zum Überleben gefordert sein wird. Die Literatur[4] benennt es unterschiedlich, durchwegs numinos, ich selbst habe mich der Bezeichnung „integrale Bewusstheit“ angeschlossen, welche begrifflich von Jean Gebser geprägt und ich als Haltung vor allem im Werk von Herrmann Hesse wiederzufinden glaube. Es ist eine Gestalt, ein Platzhalter, für eine Fähigkeit, welche wir im Großen und Ganzen einfach (noch) nicht haben. Es geht nicht nur, wie subjektstufig sicherlich zu fordern, um die Integration aller subjektiven seelischen Funktionen, es geht auch um die Aufhebung der Spaltung zwischen angeblich verschiedenen Lebens- und damit Denkbereichen. Dies sind im Grunde spirituelle Forderungen, weil natürlich vom Subjekt gefordert ist, sich in einem transzendentalen Akt, in seiner Welt gleichsam wieder zu erfinden. Dies scheint mir schwankender Boden zu sein, welcher nur im Beisein von viel Vernünftigkeit betreten werden sollte.
Gibt es einen unethischen Konsum?
Mahatma Gandhi wurde der Ausspruch nachgesagt, die Erde hätte genug für unser aller Bedürfnisse, nicht aber für unsere Gier. Hier erreichen wir eine neue Schwelle in unserer Betrachtungsweise, es geht darum, moralische Standpunkte zu respektieren ohne gleichzeitig in Moralisieren zu verfallen. Persönlich ziehe ich eine Argumentationslinie, welche der Vernünftigkeit folgt, jener, welche moralische Imperative ins Feld führt, vor. Wenn Gandhi von Gier spricht, führte er eindeutig eine moralische Kategorie in den Diskurs ein, anderseits wissen wir aber aus seiner und der Geschichte Indiens, dass er Askese, Gewaltlosigkeit, letztlich auch ökonomische Autonomie als wirksames politisches Mittel propagiert hat. Das genau ist die Richtung, in welche ich den Blick wenden will, weil ich mir davon verspreche, dass dadurch sowohl wirtschaftliche, als auch ökologische Phänomene unserer Zeit in der Zukunft verstehbarer und damit auch lösbarer würden. Jedes Individuum stellt auch einen ganz subjektiven ökologischen Kosmos im weitesten Sinne her, welcher im Wesentlichen umschrieben ist, durch die Bedürfnisse und die Ressourcen diese zu befriedigen. Wenn ein Individuum Bedürfnissen nachgeht, zu deren Befriedigung es nicht die Ressourcen besitzt, so handelt es entweder unvernünftig oder unmoralisch, je nachdem welche Konsequenzen es aus diesem Konflikt zieht. Der Konflikt entsteht durch die unbotmäßige Ausbeutung entweder der eigenen, oder der Ressource anderer oder beidem. Fairer Handel entstünde im weitesten Sinne aus dem jedweden Austausch überflüssiger Ressource, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Fairness im Handeln wäre die Grundvoraussetzung, das Dilemma einer Spaltung zwischen Vernunft und Moral zu überwinden, einfach deshalb, weil Moral dann vernünftig sein dürfte.
Die Ökologie eröffnet uns nicht zuletzt auch die Möglichkeit auf einen neuen Moralbegriff, die Moral des persönlichen wie kollektiven Überlebens. Ein Konsumverhalten, welches dieses absehbar gefährdet, wäre auch in diesem Sinne nicht nur unvernünftig, sondern auch von fragwürdiger Moral.
Noch einmal ein Exkurs in die Triebtheorie:
Die Psychoanalyse pflegt in solchen Fällen Begriffe wie Lust- und Realitätsprinzip zu strapazieren. Gier hat aber nach meinem Dafürhalten weniger mit Lust als vielmehr mit Angst zu tun, Gier ist pervertierte orale Lust, welche nicht mehr dem Eros, sondern dem von Freud postulierten Todestrieb (Tannatos) folgt. Bezogen auf gieriges Konsumieren von Gütern, welche wir nicht wirklich brauchen, sind all diese Überlegungen nur sehr bedingt anwendbar, mit anderen Worten: Die Freud‘schen Kategorien erscheinen uns als zu naiv, um derart komplexe Phänomene tatsächlich zu beschreiben. Vielleicht hilft hier ein ganz konkretes Beispiel weiter: Noch immer das Automobil!
Trotzdem, wie wir bei genauem Hinsehen feststellen müssen, das Autofahren seit vierzig Jahren tendenziell immer billiger geworden ist, empfinden wir subjektiv und als Gesellschaft eher das Gegenteil, vor der Realität der Zapfsäule bekommen wir weiche Knie, fühlen uns ausgebeutet, bekommen richtig Angst. Unlustvoller kann ein Unlusterlebnis eigentlich nicht sein. Die Automobilwerbung konterkariert genau dieses Unlusterleben, von welchem auch eine hohe Dosis, zum Beispiel in einem Stau, zu haben ist, immer noch erfolgreich, indem sie das Automobil als phallisch-narzisstisch besetztes Lustobjekt darstellt. Lustiger Weise ist diese Strategie auch- oder gerade bei Frauen sehr erfolgreich. In der Automobilwerbung wimmelt es von erotischen Anspielungen und sexueller Metaphorik, es geht um Potenz, Potential, Ansehen, Kraft, natürlich auch den Anschein von Reichtum! Wie anders wäre zu erklären, dass in den letzten Jahren, da wir von einer Schuldenkrise in die nächste taumeln, die Verkaufszahlen von sehr großen und teuren Autos jenseits der 120 PS rasant zu-, der Verkauf von sparsamen Kleinwagen hingegen relativ abnimmt. Es gibt keine rationale Erklärung für ein irrationales, weil triebhaftes Phänomen! Es erschiene mir irgendwie auch unpassend, der Thematik allzu moralbewusst zu begegnen, vor allem deshalb, weil mir an dieser Stelle die Grenze zwischen möglichen Tätern und Opfern sehr verwischt scheint. Ich tue mich schwer einem strohdummen Menschen, der nichts ist, nichts kann und nichts hat, böse zu sein, nur weil er der frohen Botschaft folgt, ein dickes Auto würde seinem faktisch nicht vorhandenen Ego etwas auf die Sprünge verhelfen. Es ist einfach verständlich und gleichermaßen bedauerlich, dass solches zum Schaden eigentlich Aller passiert, aber es ist nicht unmoralisch. Unmoralisch sind jene zu nennen, welche gezielt mit der Dummheit Geschäfte machen, wohl wissend, dass diese Geschäfte der Welt schaden. Letztlich geht es mir um den bewussten Aufbau neuer Images, wenn Sie wollen um eine andere Art von Manipulation, welches natürlich auch ein faschistoider Ansatz ist. Dieser Art des „Gut-Menschen-Faschismus“ ist natürlich nur schwer zu entgehen, man kann nicht versuchen den Konsumenten vorzukauen, welche ihrer Begehrlichkeiten erlaubt und welche es nicht seien, das erinnert uns allzu sehr an planwirtschaftliche Gepflogenheiten, ein „globales Nord Korea“ kann nicht das Ziel einer ökologiebewussten Konsumbewegung sein, ebenso wenig wie der einzig „gute“ Konsum der Nicht-Konsum sein kann. Die Wahl zwischen Hedonismus und Askese hieße, die Welt noch weiter in jene Art globaler Schwarz-Weiß-Malerei zu stürzen, in der sie ohnehin schon zu versinken droht.
Für mich tut sich an dieser Stelle auch eine Idee auf, woher meine Not rühren könnte, Menschheitsphänomene von heute, mit den Erklärungsansätzen von damals nachvollziehbar zu machen. Wenn wir aus einem psychoanalytischen Blickwinkel über die Kalamitäten der Gegenwart nachdenken wollen, so müssen wir uns eingestehen, dass wir es häufig nicht mehr mit Neurotizismus, sondern mit tiefer struktureller Störung zu tun haben. Das Freud’sche Struktur Modell hat zwar die Grundlagen für ein Verständnis letzterer geliefert, man kann sagen, dass durchwegs alle strukturellen Störungen, welche wir heute beschreiben können, letztlich auf ein Ungleichgewicht der Ich-Instanzen, aber auch auf Gehemmtheiten auf der Stufe jener Entwicklungsniveaus, wie sie Freud beschrieben hat, zurückführbar wären, für ihre genauere Analyse und Erklärung, müssen wir uns aber modernerer Ansätze und auch Terminologien bedienen.
Dessen ungeachtet war also meine Idee, unsere Welt könnte, dies möge nicht als Metapher verstanden werden, an einer wirklich schweren strukturellen Störung von der Art eines Bordeline Syndroms laborieren.
Eine psychopathologische „Weltdiagnose“?
Das Leitsymptom, welches mich in diese Richtung denken ließ, war die immanente Selbstschädigung, als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen ökologischer und gesellschaftlicher Desintegration.
Wenn ich der Menschheit als Masse unterstelle, sie habe eine strukturelle Störung entwickelt, sollte ich vorweg sicherstellen, dass diese Begrifflichkeit, welche an sich eine Persönlichkeitsstörung bezeichnet, auch auf eine Masse, also auf eine sehr große Gruppe von Personen anwendbar sei. Wie schon weiter oben erwähnt, hat Freud wohl als Erster in seiner „Massenpsychologie“ versucht, jene Dynamiken, welche er gerade für das Subjekt als gültig erkannt hatte, auf ihre Anwendbarkeit für die Dynamiken großer Gruppen, wie er es nannte, auf die „Masse“ anzuwenden. Alleine dieses Datum stellt also nicht unwiderlegbar die Legitimität meines Beginnens sicher, wir bewegen uns also auf dem Boden eines hypothetischen Experimentes.
Die der Menschheit unterstellte Borderline-Störung hat im Wesentlichen folgende Signifikanten: Unberechenbarkeit im Handeln, Opportunismus, latente Selbstschädigung, Tendenz zur Spaltung, projektive Identifikation, ambivalentes Beziehungsverhalten, emotionale Instabilität, immanentes Gefühl von Sinnlosigkeit und Leere.
Gerade eben sehe ich mich in der Versuchung, diese Aufzählung, gleichsam selbsterklärend stehen zu lassen, um den Leser aber nicht allzu sehr mit seiner jedweden Teilhabe an dem Geschehen zu konfrontieren, möchte ich versuchen, jeden der angesprochenen Signifikanten mit einem passenden Beispiel aus der Gegenwartsgeschichte zu illustrieren, welches von dem Subjekt des Lesers wiederum ablenken soll. Letztlich sollen ja auch die angesprochenen Kriterien in der Masse und nicht in Einzelnen nachgewiesen werden, feststeht aber leider auch: Viele Einzelne bilden zweifellos eine Masse.
Unberechenbarkeit im Handeln:
Ihnen allen ist dieses seltsame Phänomen aus Politik und Alltagsgeschehen bekannt: irgendwer macht irgendwann irgendwas und dabei kommt irgendetwas heraus, welches dann hinterher pflichtgemäß als Jenes beklatscht wird, was ohnehin geplant und von allen immer schon gewollt worden sei. Auch das Gleiche in umgekehrtem Sinne ist möglich, mit ungeheurem Zeitaufwand erarbeiten Arbeitsgruppen, Ausschüsse, internationale Konferenzen ein bestimmtes Konzept und wenn dieses Konzept dann umgesetzt werden soll, findet jeder der Beteiligten einen noch besseren Grund, warum man das so einfach nicht umsetzen könne. Ich erspare mir hier konkrete Beispiele auszuführen, weil die Tageszeitungen von besten Beispielen gefüllt sind, jeder von Ihnen an seinem Arbeitsplatz fast täglich solches erleben kann. Kurz nur will ich noch einmal an das Schicksal der Weltklimavereinbarungen erinnern.
Opportunismus:
Bordeline Patienten haben Schwierigkeiten an Dingen dran zu bleiben, für welche sie nicht unmittelbare Belohnung bekommen. Das ist in etwa genau die Art, in welcher wir mit ökologischen Problemstellungen umzugehen, oder besser, nicht umzugehen gewohnt sind. Alles, was sich nicht gleich im nächsten absehbaren Augenblick günstig auswirkt, hat schlechte Presse. Die Solaranlage baue ich nur, wenn sie sich in den nächsten drei Jahren amortisiert oder mein Ölbrenner ohnehin gerade kaputt ist. Für die Anliegen des lybischen Volkes setze ich mich nur ein, wenn vorweg klar ist, dass meine Mineralölkonzerne dort weiter günstig fördern werden. Gründüngung und Brache für meine Felder kommt nur in Frage, wenn ich dafür Fördergelder lukriere.
Latente und konkrete Selbstschädigung:
Seltsamer Weise scheinen Opportunismus und Selbstschädigung recht eng zusammen zu hängen. Um unmittelbaren Nutzen zu bekommen, sind wir nur zu oft bereit, mittelbaren Schaden in Kauf zu nehmen, das scheint einleuchtend, wenn, wie in der Ökologie, der Schaden wahrscheinlich erst die nächste Generation trifft. Das hängt damit zusammen, dass vor allem wir Europäer ein Kollektiv, wenn überhaupt, nur im Hier und Heute, sozusagen in einem Quer- und nicht auch in einem Längsschnitt sehen können. Völlig unverständlich wird die Sache dann, wenn zum Beispiel ein einzelner Mensch, eine Familie, eine Firma oder ein ganzer Kontinent Schulden macht, welche ihm Annuitäten bescheren, welche sein ganzes Budget auffressen. Die westliche Industriegesellschaft ist, das soll mein Beispiel sein, dabei, zur wirtschaftlichen Selbstzerstörung zu schreiten, ohne dass ein mittelbarer oder unmittelbarer Nutzen zu erblicken sein könnte. Die Finanzwelt unserer Tage scheint in einen frenetischen Taumel geraten zu sein, welcher im Grunde nichts anderes repräsentiert, als reinste Selbstaggression. Am Turbokapitalismus unserer Tage wird wohl dereinst der schmerzvolle Niedergang das einzig Wirkliche gewesen sein, verständlich eigentlich, wenn man beim „grande Finale“ unbedingt dabei sein will, gleichsam um einfach überhaupt einmal irgendwo wahrhaftig vorzukommen. Das deckt sich ziemlich genau mit unserer heutigen Ansicht über Selbstschädigung strukturell gestörter Individuen, wir denken, es ginge um einen verzweifelten Versuch, sich seiner selbst gewahr zu werden.
Spaltungstendenz und projektive Identifizierung:
Umgangssprachlich ist damit zum einen „Schwarz-Weiß“-Malerei und positive oder negative Idealisierung gemeint. „Die Achse des Bösen“ war so ein kolportiertes Schlagwort, welches gerne aufgenommen wurde, es bezeichnete für den gestandenen wohlständigen Amerikaner oder auch Europäer ein eindeutiges Nicht-Ich. Die Achse des Bösen sind die Anderen. Zu Zeiten des kalten Krieges musste man solche Begriffe erst gar nicht generieren, die Altlasten des zweiten Weltkrieges hatten die Spaltung sozusagen frei Haus geliefert. Die Zahl solcher Spaltungsfiguren in Geschichte und Gegenwart ist so mannigfach, dass ich mir erspare, hier mit Beispielen fortzufahren. Damit direkt in Zusammenhang ist das zweite hier angeführte Phänomen. In einer Gut-Böse-Spaltung scheint es uns nachvollziehbar, dass kein Mensch auch nicht der kränkste, seine Ideale auf Seiten jener Anderen, und seine Nicht-Ideale auf eigener Seite vertreten sehen will. Daraus erwächst die Gepflogenheit, das bei mir selbst Unliebsame gleichsam auf der anderen Seite sehen zu wollen und umgekehrt. Wenn also „der Westen“, was immer das sein mag, beispielsweise den Iran, der Aggression bezichtigt, weil er seit Jahren an Atomwaffen herumbastelt, selbst diese aber seit vielen Jahrzehnten in Overkill Stärke hegt und pflegt, so können wir dies als lebendiges Beispiel dafür nehmen, was der Begriff „projektive Identifikation“ bezeichnet. In Wahrheit kommt es aber noch schlimmer!
Ambivalentes Beziehungsverhalten:
Wenn ich das oben beschriebene Spaltungswerk nur beständig genug vorantreibe, werde ich erkennen, dass ich zu jenem verhassten Gegenüber eine höchst libidinöse Beziehung eingegangen bin, eine hochgradige Abhängigkeit, denn es leistet mit ja willfährig den Dienst, meine unliebsamen „Spaltprodukte“ zu neutralisieren, ich beginne meine Beziehungen aus Abwertung zu gestalten, so wie dies David Cameron und Konsorten, mit dem Rest von Europa machten. Hurra, es lebe Britannien, pleite sind die Anderen, wir gehen zwar auch unter, aber „auf edel“. „America first“ wäre der Aktualität halber hier noch hinzuzufügen, wobei Herr Trump dramatisch vor Augen führte, was passieren kann, wenn ein pathologischer Narzisst, sich der Spaltungsbereitschaft eines Kollektivs bedient.
Emotionale Instabilität:
Nicht zuletzt aus der allerjüngsten Vergangenheit kennen wir den plötzlichen, scheinbar unerwarteten Ausbruch von mehr oder minder gewaltsamen Massenbewegungen. Es werden massenhaft Emotionen frei, welche dem Anschein nach derart den Nerv der Zeit treffen, dass sie sich unaufhaltsam verbreiten. Ex post konstruieren wir dann Erzählgeschichten, in denen es üblicher Weise von Tätern und Opfern nur so wimmelt. Im Beispiel vom „arabischen Frühling“ gibt es nur Einzelne, besonders böse Täter und massenhaft, in diesem Falle gute, Opfer. Ausgelassen ist praktisch immer, dass die scheinbar so armen Opfer jahrzehntelang mit den Ex-Post-Tätern gemeinsame Sache gemacht haben, oder dass, wie im Falle der arabischen Staaten, die Zahl der Täter natürlich Legion ist, es sind all jene, die sehenden Auges erz-korrupte und totalitäre Regime von innen und von außen aufrechterhalten haben, um Nutzen davon zu ziehen. Sie sehen schon, auch die emotionale Instabilität scheint irgendwie mit dem Kippen von Gut-Böse-Systemen zu tun zu haben. Das Kippen aber ist praktisch nie ein unvorhersehbares Elementarereignis, es ist immer das Ergebnis der vorhersehbaren Überlastung einer an sich instabilen Versuchsanordnung. In Ruanda und Burundi wurde vor Jahren grauenvollstes Zeugnis von dieser Tatsache abgelegt. Der Bürgerkrieg in Syrien, der schier ewige Konflikt zwischen Kurden und Türken, das Morden im Jemen, der Flächenbrand in Eritrea, eine schier endlose via dolorosa!
Ein immanentes Gefühl von Sinnlosigkeit und Leere:
Die Generation der Älteren, welcher ich selbst mich leider auch schon zugehörig fühle, neigt dazu, dieses Teilphänomen der „Weltpsyche“ eher den heute Jugendlichen zuzuschreiben. Mit Obigem ist das natürlich auch wieder ein projektiver Akt. Nach meinem Dafürhalten ist die faktische Perspektivenlosigkeit der jungen Menschen ein Ansteckungsprodukt der „Resignitis“, welche die Elterngeneration überkommen hat. Auf ökologische, wie auch gesellschaftliche Fragestellung, wirkt sich das ziemlich fatal aus. Die letzten beiden Generationen haben nichts als produziert, konsumiert und Konflikte konserviert, die kommende Generation hat die Suppe auszulöffeln und wird überdies mit dem Anwurf der Perspektivenlosigkeit konfrontiert, als müsste sie es sein, welche Zukunftsperspektiven, gleichsam „ex nihilo“ produziert. Der zu erwartende Sturm der Entrüstung bleibt praktisch aus.
Oder ist vielleicht hier gerade ein Funken Hoffnung?
Der „Indignez vous“- Ruf des Stéphane Hessel verhallt nicht ganz ungehört, die „Occupy Wallstreet“ Bewegung bezieht sich bekanntermaßen stark auf sein Pamphlet. Es ist schön zu erleben, wie „Fridays for future“, Schule schwänzen zur Rettung der Welt, fast wie weiland in den Sechzigern, damals zu aller Entrüstung, diesmal scheinbar eine salonfähige Ausdrucksform junger Menschen geworden ist.
Als Analytiker wie auch als älterer Mensch habe ich solch begeisternden Erscheinungen gerade wegen der Begeisterung, die sie hervorrufen, zu misstrauen. Ist es ein Theaterdonner, wiederum eine geschickte Manipulation, quasi einen revolutionären Kindergarten zu inszenieren, damit Dampf abgelassen wird, ohne dass sich auch nur irgendwas verändern muss?
[1] Die meisten alpinen Almen sind nicht natürlichen Ursprungs, sondern durch Brandrodung entstanden. Der Eindruck, der hier vielleicht erweckt werden könnte, die Wintersportindustrie würde sich mit nicht mehr gebrauchten Almflächen begnügen, ist natürlich falsch, in tieferen Lagen müssen alleine in Österreich hunderte Hektar Waldes per anno neuen Abfahrten und Anlagen weichen. Hier beobachten wir derzeit ein interessantes Phänomen: Der Klimawandel bewirkt bereits jetzt ein Ansteigen der Waldgrenze, die Almen wachsen recht rasch zu, sodass die Nettofläche Wald in den Alpen derzeit rasant steigt.
[2] Hier ist speziell vom Schitourismus in den europäischen Alpen die Rede, welcher uns heute in mehrerlei Hinsicht immer suspekter wird. Über den sog. Überseetourismus, vor allem im fernen Osten könnte man guten Gewissen ähnliches sagen, wie bereits oben über den Kaffee gesagt wurde.
[3] Der weltweite Kaffeeanbau ist ein exemplarisches Beispiel für kolonialistische Ausbeutung in einem ökologischen, ökonomischen und einem sozialen Sinn. Prinzipiell hat sich darin seit der historischen Kolonialzeit bis heute nichts Wesentliches geändert.
[4] Erich Neumann, Jean Gebser, Ken Wilber, Willy Sutter sind nur einige wenige Autoren, welche sich mit neuen integralen Bewusstseinsformen beschäftigen. Wegen der grundlegenden Verschiedenheit der Annäherungsweisen fällt es aber schwer, von einem homogenen Gedankenstrang oder gar einer klar von anderen unterscheidbaren Denkschule zu sprechen.